Die Lavendelfrau by Seifert Dagmar

Die Lavendelfrau by Seifert Dagmar

Autor:Seifert, Dagmar
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: www.LuL.to
veröffentlicht: 2015-07-30T16:00:00+00:00


Im 11. Kapitel erfahren wir mehr über die Theorie der verschiedenen Welten

Ich hielt die Möwe vorsichtig ein kleines bisschen hoch. Sie flatterte kurz mit dem gesunden Flügel, blieb aber sonst ziemlich ruhig auf meinem Arm.

Der Indianer musterte uns ausdruckslos. Hätte ich ihm nicht direkt im Weg gestanden, wäre er bestimmt weitergegangen. Er sah nicht so aus, als ob er von sich aus Hilfe anbieten oder auch nur fragen würde, was los sei.

»Diese Möwe hat einen kranken Flügel. Also – sie muss sich verletzt haben, und es ist unglücklich wieder zusammengewachsen!«, brabbelte ich drauflos. »Jetzt kann sie nicht fliegen und sie ist schon ziemlich abgemagert ...«

Ich blickte erwartungsvoll zu dem Mann hoch. Er sah auf die Möwe und wieder auf mich und äußerte mit ungewöhnlich tiefer Stimme: »Und was kann ich jetzt für Sie tun, Lady?«

Die Bemerkung war ganz korrekt und höflich. Seine Betonung allerdings machte deutlich, dass ihm sowohl Möwen als auch fremde Frauen auf die Nerven gingen und dass er wünschte, er hätte einen anderen Weg genommen. Lady bedeutete ja wohl so was wie ›meine Dame‹, aber er sprach es aus wie ein Schimpfwort. Nicht wie einen Kraftausdruck, wohlgemerkt, nur wie ein kleines, müdes Schimpfwort, etwa ›Dummchen‹.

Arroganter Idiot, dachte ich. Vielleicht versuchen wir’s mal mit ein bisschen Absurden! Ich lächelte sehr kanadisch, als hätte er mir gerade tiefe Anteilnahme gespendet: »Oh, das ist aber wirklich nett von Ihnen. Könnten Sie uns bitte zu einem Tierarzt bringen?«

»Tierarzt?!«, wiederholte er. »Hören Sie, Lady, Tierärzte in dieser Gegend behandeln grundsätzlich keine Wildtiere. Ich glaube, sie sind sogar gesetzlich nicht dazu berechtigt. Was soll das auch? Wollen Sie die Möwe in einem Käfig halten? Wenn sie kaputt ist, dann geht sie ein. So ist das eben.«

Er machte eine Bewegung, als wollte er um mich herum- und weitergehen. In diesem Augenblick legte meine Möwe ihren Kopf etwas höher auf meinen Arm und schlug die glänzenden Augen auf.

Das schien ihn zu beeindrucken. Er schüttelte zwar zu dem, was seine innere Stimme ihm sagen mochte, den Kopf, seufzte dann jedoch und zeigte in die Dämmerung: »Da oben steht mein Wagen. Ich fahre Sie zu der Tierklinik in Tinyvale. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel davon. Die sind nicht sentimental dort, das sind Realisten.«

Wir stapften über die Dünen an einem Cottage vorbei zur Straße hoch, und der Indianer öffnete die Beifahrertür seines klapprigen alten Jeeps, um mich mitsamt dem Vogel einsteigen zu lassen.

Wir fuhren schweigend über leere Landstraßen, die auf beiden Seiten von dunklem Wald eingerahmt wurden. Der Mann sagte nichts. Ich sagte nichts. Die Möwe schien Autofahren nicht weiter sonderbar zu finden, atmete ruhig und sagte erst recht nichts.

Nach ungefähr einer Viertelstunde bogen wir von der Straße ab auf einen Schotterweg, der direkt zur Tierklinik führte. Die sah hell und neu aus.

Bereits die weiß gekittelte ziegenbärtige Person, die uns im Klinikflur empfing, musterte den Patienten mehr als misstrauisch.

»Eine Möwe? Wir behandeln keine Möwen ...«

»Diese hier schon!«, versicherte ich ihm so energisch wie möglich.

Er zuckte mit den Schultern und holte einen Arzt. Der blieb in einiger Entfernung stehen: »Eine Möwe? Unmöglich.



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